Kluggeschissen

Was ist eigentlich Dry Aged?

Die besten Steaks der Welt verbergen sich überraschenderweise nicht hinter der Auslage der Supermarkt-Fleischtheke, sondern hinter einer trocken-schwarzen Kruste mit schimmelig-weißem Flaum. Glaubt ihr mir nicht? Ist aber so. Die Rede ist hier vom sogenannten Dry Aged Steak, das heutzutage einem jeden Fleisch-Enthusiasten, Feinschmecker und Pitmaster das Wasser im Munde zusammen laufen lässt. Aber was genau verbirgt sich hinter dem Phänomen der Trockenreifung? Ich kläre euch mal auf…

Ein gutes Dry Aged Steak altert in Würde

Wie ein guter Wein muss ein auch ein gutes Stück Fleisch erst reifen, um zu dem zu werden, was wir lieben. Weder können wir also dem armen Rind direkt nach seinem Ableben ein schönes Stück Fleisch aus dem Leib schneiden und dann quasi in Körpertemperatur verspeisen, noch nutzen uns wenige Tage des Wartens, denn hier macht die Totenstarre uns einen Strich durch die Rechnung. Spätestens 36 Stunden nach dem Ableben des Tieres ist dessen Fleisch zäh wie eine Schuhsohle. Da mit dem Tod des Tieres auch sein Stoffwechsel sehr abrupt endet, fällt es der Kuh merklich schwer, sich zu entspannen.

„Das Reifen des Fleisches ist eine Verkettung komplexer biologischer Prozesse.“

Das Reifen des Fleisches ist eine Verkettung komplexer biologischer Prozesse. Ums mal etwas vereinfacht zusammenzufassen (Vorsicht, Wissenschaft): Damit sich die Muskeln wieder lockern und ihre Starre verlassen, benötigen sie Sauerstoff. Aus bio-chemischer Sicht reagiert das Glykogen in den Muskeln mit jenem Sauerstoff, bildet hierbei Milchsäure. Sauer macht zart: Weil  diese Milchsäure nicht wie beim lebendigen Tier abgebaut wird, säuert sie das Fleisch und aktiviert hierbei bestimmte Enzyme, die das Fleisch zart machen.

Knochentrocken

Seit der Erfindung der ersten kommerziell verwendbaren Vakuumiergeräte Anfangder sechziger Jahre hängt das Rindfleisch hierbei in der Regel in der Reifekammer in einem Beutel und nassreift (für die Poser: „Wet Aging“) vor sich hin, wobei Reifen hierbei eigentlich nicht der richtige Begriff ist. Es verliert auf Grund eben jener Vakuumierung nicht ein Gramm. und die oben erwähnten Milchsäurebakterien vermehren sich hier ungehindert, können den Beutel nicht verlassen und verleihen dem Fleisch am Ende eine zumindest leicht metallische Geschmacksnote. Diese bekommt man auch durch gründliches Abspülen des Fleischs unter Wasser nicht mehr komplett weg.

„Das Fleisch muss reifen, bis es von selbst vom Haken fällt“

Ganz anders funktioniert das Ganze jetzt beim Trockenreifen. Aus Mangel von Alternativen ließen die Metzger ihr Fleisch früher ausschließlich auf diese Weise an der Luft am Knochen trocknen. Ich behaupte jetzt mal dreist, dass unsere Großeltern das Steak gar nicht anders als in ganzen Rinderhälften gut abgehangen in einem Kühlraum kennen. Zumindest bis in die späten Fünfziger Jahre war das Trockenreifen von Steaks der De-Facto-Standard in der Fleischverarbeitung. Zwar hatten wir hierzulande niemals so lange Reifezeiten von 5-6 Wochen („das Fleisch muss reifen, bis es von selbst vom Haken fällt“) wie beispielsweise in den USA, aber zwei Wochen abhängen war auch hier durchaus üblich.

Harte Schale, weicher Kern

Das Resultat dieser Trockenreifung klingt erstmal schlichtweg gruselig. Verschrumpelte, ausgetrocknete Rinderhälften. Schwarz wie alte Blutwurst. Streichen wir mit dem Finger darüber, fühlt sich das Fleisch gerade zu ledrig an und erinnert eher an einen geräucherten Schinken denn an ein Steak, das ich mir gleich in die Pfanne hauen möchte. Teilweise ist das Fleisch gar mit einem feinen weißen Flaum (ja, Schimmel) überzogen. Na dann guten Appetit!

Aber wenn man wie die Zwerge im Herrn der Ringe nur tief und gierig genug gräbt, dann offenbart sich der wahre Aroma-Schatz. Das will heißen: Wird die äußere vertrocknete Schicht der Rinderrücken großzügig weggeschnitten, strahlt einem ein Fleisch in phantastisch-tiefroter Farbgebung mit wunderbarer Fettmaserung an. Das Fleisch ist zum einen in der Konsistenz schön fest und nicht so labbrig wie sein Pendant aus der Tüte. Zum Anderen offenbart es sofort seinen vollmundigen, buttrig-nussig-fleischigen Duft.

Begeisterung durch Technik

Das Reifen nach alter Väter Sitte wurde im Heimatland der Steaks, den USA, schon seit längerem wieder entdeckt. Aus den Edel-Restaurants und -Fleischereien in New York schwappte dieser Trend dann irgendwann auch zu uns herüber. Eine der damals größten Sorgen der Vätersväter – der heutigen Schlachter – nämlich dass das Fleisch am Knochenmark zu faulen beginnt und diese Fäule aufs Fleisch übergreift und die Muskelmasse verdirbt, wird dabei heutzutage durch modernste Technik verhindert.

Die Rinderrücken hängen heute in teilweise riesigen, modernen Reifekammern. Diese Reifekammern sorgen für exakte Bedingungen in Hinblick auf Luftfeuchte und Temperatur. Zugegebenermaßen wird der ein oder andere von uns 80% Luftfeuchtigkeit, ständige Zugluft und Temperaturen knapp über dem Gefrierpunkt eher als Schmuddelwetter abtun, aber unser Rindfleisch liebt es. Sogar so sehr, dass es je nach Fleischstück bis zu 28 Tage oder länger in diesem Klima verweilt.

Zahlen rund ums Dry Aging
Zahlen rund ums Dry Aging

Steak mit Pilzen einmal anders

Wie ist das denn jetzt mit dem Schimmel? So manch ein Fleischer der Oberklasse „verfeinert“ seine Fleischstückchen mittlerweile gar mit Edelschimmelkulturen – oftmals von der Sorte Penicillium nalgiovense – die auch im Reifungsprozess von Edelschimmelsalami und diversen Rohschinkensorten eine wichtige Rolle spielen. Dieses selbst ernannte Super-Gourmet-Fleisch reift noch länger; bis zu sieben Wochen sind hier keine Seltenheit. Hierbei werden die Schimmelkulturen zu Beginn der Reifephase direkt auf das Fleisch aufgetragen.

Entgegen gängiger Gerüchte verbessern diese Schimmelsporen aber null komma gar nix am Geschmack, sondern produzieren vielmehr eine Art Antibiotikum, welches schädliche Bakterien an der Fleischoberfläche vernichtet. Auch der Austrocknungsvorgang wird hier etwas gebremst, der Gewichtsverlust ist nicht ganz so drastisch wie beim schimmelfreien Dry-Aging. Ich halte diese ganze Edelschimmel-Klamotte ja eher für eine Modeerscheinung denn einen ernst zu nehmenden Trend.

Ich will ein Rind von dir!

Für Familienernährer, die ihre Familien weg führen möchten vom Convenience Food und innerhalb der Woche gerne auch mal mehrere Kilo Dry Aged Rindersteaks verzehren möchten – übrigens nur eine der vielen Möglichkeiten zur Beschleunigung der Privatinsolvenz und Herbeiführung seines Frühablebens – für den hat die Industrie vorgesorgt.

„Wer nur schlappe 4.000 Tacken auf die Theke liegt, bekommt den privaten Reifeschrank für den praktischen Hausgebrauch geliefert.“

Wer nur schlappe 4.000 Tacken auf die Theke liegt, bekommt den privaten Reifeschrank für den praktischen Hausgebrauch geliefert. Auch spezielle Reifebeutel sind im Handel erhältlich. Diese mit – Achtung, Vorsicht, Obacht – SEMIPERMEABLER Membran ausgestatten Beutel lassen Feuchtigkeit nach außen und den dringend benötigten Sauerstoff nach innen, aber nicht anders herum. Die oben beschriebenen technisch exakten Bedingungen für die Trockenreifung im eigenen Kühlschrank zu schaffen sind zwar immer noch mehr als herausfordernd, aber dank des Beutels für daheim nun endlich machbar. Nervenzusammenbrüche der Ehefrau, weil der Kühlschrank mit Kiloweise Fleisch verstopft keinen Platz mehr für was anderes lässt, sind hierbei übrigens inklusive.

Das schmeckt uns weniger: Der Preis!

Diese ganze Star-Trek-Technologie in Kombination mit der langen Lagerzeit kostet natürlich. In der heutigen Zeit der Industrialisierung sowie der globalisierten und auf Massenproduktion getrimmten Fleischerzeugerwelt gerieten solche aufwändigen Methoden aus ökonomischen Gründen in Vergessenheit, daher lässt man sich das mühselige Reifen heutzutage gut bezahlen.

Man darf desweiteren nicht aus den Augen verlieren, dass ein Rinderrücken durch den Wasserverlust bis zu 30% an Gewicht verliert. So kommt man rein rechnerisch bei 700 g trockengereiftem Rindfleisch auf den Preis eines 1 kg Stücks rohen Fleisches.

Eigentlich lässt sich ganz am Ende auch vereinfacht sagen: Ich biete dem Verbraucher ein Stück Rindfleisch an, so wie es idealerweise gereift sein sollte – nämlich nach der ältesten und natürlichsten Methode überhaupt – mache den großen Dry-Aged-Marketing-Stempel drauf und freue mich über klingende Kassen. Preise für die luftgetrockneten Steaks beginnen bei ca 25,00 € das Kilo und müssen bei 130,00 € und mehr für ein Waygu Entrecotê noch lange nicht enden.

Gereift bis zur Vollendung?

„Ob’s einem das Geld wert ist, muss am Ende jeder selbst entscheiden.“

Ob’s einem das Geld wert ist, muss am Ende jeder selbst entscheiden. Geschmacklich hat das Dry Aged Steak gegenüber der Beutelware eindeutig die Nase vor. Kein Hauch von säuerlicher oder metallischer Note, stattdessen voll aromatisch mit ganz intensiv-tief-fleischigem Gescchmack. Eine leichte buttrig bis nussige Note schwingt mit.

Letzten Endes muss man aber sagen, dass ein Dry Aged Steak einfach so schmeckt, wie ein gutes Stück Fleisch auch schmecken sollte. Gut abgehangen, nach traditioneller Art der Fleischerei, die heute in der von Massenproduktion und Supermarktware getriebenen Konsumentenwelt fast historisch anmuten mag. Einerseits schade, andererseits gut, dass man uns zumindest mal wieder vor die Wahl stellt.

2 Kommentare

  1. Ein sehr toller und ausführlicher Beitrag zum Dry Aging!
    Ich bin selbst gerade dabei mit Reifebeuteln 4kg Roastbeef und 1,6kg Bürgermeisterstück zu reifen.

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